Hintergrund

Der Herchenhainer Johannismarkt

Im Jahr 2009 wurde in Herchenhain der 650. Johannismarkt gefeiert. Dieses beeindruckende Jubiläum war nur deshalb möglich, weil bereits im Jahre 1359 Kaiser Karl IV. den Besitzern von Herchenhain, Graf Gottfried von Ziegenhain und Abt Heinrich von Fulda, die Markt- und Stadtrechte für unseren Heimatort verliehen hatte. Eine Abschrift dieser Urkunde liegt vor. Vor dem Hintergrund, dass Herchenhain als Siedlung erstmalig im Jahre 1289 Erwähnung findet, überrascht diese schnelle "Adelung" und zeigt, dass unser Dorf eine wirtschaftlich wichtige Rolle in der Region spielte. Herchenhain lag strategisch günstig an der Haupthandelsstraße "links der Nidder" von Frankfurt über die Wetterau und Fulda nach Leipzig. Aus Sicherheitsgründen wurde bevorzugt auf Pässen gereist, da dadurch das Umland leicht überschaubar war und dies das Risiko eines Überfalls und Raubes verringerte. Durch die Passlage war die Route über Herchenhain daher trotz der vielen Zollstellen eine bevorzugte Handelsstraße. So erhielt der Johannismarkt eine solide Grundlage und ließ ihn zu einem der ganz großen Märkte in der Region werden.

Die Überlieferungen sind spärlich und manche Angaben klingen gut, doch sind sie wenig konkret. So berichtet beispielsweise der Nieder-Mooser Pfarrer Riegelmann, der Markt in 1669 sei "sehr gut" besucht gewesen. Besucherzahlen nennt er jedoch nicht. Anderen Angaben zufolge soll in 1728 "starker" Fremdenverkehr geherrscht haben.

Erst seit 1846 sind die Märkte ordentlich erfasst worden. Für das Jahr 1846 werden unglaubliche Zahlen genannt: 151 Wirte, 306 große und 449 kleine Krämer, 1.536 Stück Rindvieh, 501 Schweine, zwei Karussells, ein Wachsfigurenkabinett, ein Panorama und zwölf Zirkusse. Von weit über die Grenze Oberhessens hinaus kamen die Besucher. Nach einer alten Flurkarte von Herchenhain war der Marktplatz bereits damals an der jetzigen Stelle verzeichnet. Die Karte befindet im Archiv der Gemeindeverwaltung Grebenhain.

Laut Protokoll des Bürgermeisters Schuchardt beteiligten sich in 1860 an der Verlosung der Krämerstände 46 Ellenwarenhändler, sieben Kappenmacher, sechs Hutmacher, sechs Häfner, acht Eisenhändler, fünf Spengler, zwölf Tuchmacher, elf Sattler und zwölf Seiler. Hinzu kamen noch Messerschmiede, Sieb- und Rechenmacher, Holzwarenhändler, Kirschenhändler und andere.

Im Jahr 1872 besuchten alleine bereits 72 Schuhmacher, davon 18 aus Lauterbach, den Markt. Von Schankzelten im Seemer Wald und am "Sieben Ahorn" wird berichtet; sie boten den Anreisenden schon weit vor Herchenhain Speis und Trank an.

Die allgemeine Zollpflicht wurde für die Dauer des Marktes 1875 aufgehoben, so dass der Gemeinde die Standgeldeinnahmen in voller Höhe behalten durfte und so eine Summe von 316,85 RM erhielt. Die Standgebühren waren Quellen zufolge im Vergleich sehr niedrig. In 1884 stieg die Summe der Standgebühren auf 453,00 RM an. Eine Kuh kostete damals umgerechnet etwa 45 RM, ein Kännchen Schnaps 6 Pfennig und ein Glas Bier 10 Pfennig.

Bei den damit einhergehenden hohen Besucherzahlen gab es verständlicherweise auch häufig Schlägereien und Straftaten. Deshalb wurden dutzende junge Männer mit Gewehren als Marktwachen aus dem Kirchspiel eingeteilt.

In diese Zeitspanne von 1840 bis 1880 dürfte der Höhepunkt in der Geschichte unseres Johannismarktes fallen.

Auch die Herchenhainer erschienen zum Markt in schönen Trachten. Die reichen jungen Männer trugen Tuchhosen mit westenähnlichem Rock, die finanziell weniger gut gestellten trugen braune oder blaue Beiderwandhosen und blaue Kittel. Da die Meisten lediglich ein einziges Paar gute Schuhe besaßen, unterschieden sich die Sonntags- von den Werktagsschuhen lediglich dadurch, dass sie an Sonn- und Festtagen sauberer waren. Die Mädchen hatten blaue Beiderwandröcke mit breitem Samtband und gestrickter "Mozze", einem blusenähnlichen Oberteil mit Perlen am vorderen Ärmelbund.
Ein Besucher des Marktes ist noch heute in der Dorferinnerung lebendig. Es handelt sich dabei um das "Weidenauer Männche", einen Besucher aus Weidenau, der einerseits als großer Schläger und andererseits als Wunderheiler in Erscheinung trat. Sein bekannter "Gesahn", ein Besprechen von Mensch und Tier mit einem Segenspruch bei Beschwerden und Krankheiten, wirkte angeblich bei Menschen wesentlich besser als bei Tieren.

Diese obigen Angaben sind weitgehend den Festzeitschriften zur 575-Jahr-Feier und 600-Jahr-Feier von Heinrich Weidner entnommen.

Mit der Veränderung der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse wandelte sich zwangsläufig die Bedeutung des Herchenhainer Johannismarktes. War der Markt in früheren Zeiten ein wichtiger Ort, um Bedarfsgüter, Kolonialwaren und Vorräte für das Jahr einzukaufen, änderte sich dies mit dem Bau der heutigen Bundesstraße B 275 in den Jahren 1834 bis 1857, der Aufnahme des regelmäßigen Postkutschenverkehrs zwischen Herbstein und Gedern im Jahr 1860, dem Bau der Eisenbahn von Lauterbach nach Gedern im Jahr 1906 und der Anbindung an die Wächtersbacher Kleinbahn durch den Lückenschluss von Birstein nach Hartmannshain in 1934. Damit war die Anbindung an fremde Märkte erheblich erleichtert worden. Dies und der Beginn der industriellen Massenfertigung, dem wirtschaftlichen Aufschwung der Städte und erweiterten persönlichen Freiheiten des Einzelnen ging einher mit dem Bedeutungsverlust des Herchenhainer Johannismarkts.

Dazu merkte auch Heinrich Weidner in seiner Festschrift 1934 treffend an:

"Das hat mehrere Gründe: Der Verkehr ist ein anderer geworden, Herchenhain lag früher im Mittelpunkt des Verkehrs und war eine der wichtigsten Durchgangsstellen an der alten Straße Leipzig-Fulda-Frankfurt a. M. Heute kann man in jedem größeren Dorf oder den kleinen Städtchen seine Einkäufe besorgen, die Zeiten, wo man auf den Märkten seine Kleidungsstücke kaufen musste, sind vorbei. Die Kaufleute und Handwerker sind in der großen Zahl sesshaft geworden und üben ihr Gewerbe nicht mehr im Umherziehen aus."

Während der beiden Weltkriege fielen die Märkte aus. Nach dem 2. Weltkrieg fand jährlich im Mai zusätzlich ein großer halbtägiger Ferkelmarkt, der Walpurgismarkt, statt. Auf diesem Markt wurden die Ferkel gehandelt, die zur Schlachtzeit im Winter aufgrund ihrer längeren Mast viel Gewicht und Speck gewährleisteten. Schwere und fette Schweine waren der Stolz der Bauern, auch bekamen diese aufgrund ihrer harten körperlichen Arbeit kaum Gewichtsprobleme durch diese Kost. Auf dem im Rahmen des im Juni stattfindenden Johannismarktes folgenden Viehmarkts wurden am Marktdienstag zwar mehr Tierarten angeboten, jedoch waren die dort gekauften Ferkel aufgrund ihrer kürzeren Mastzeit weniger interessant.

In 1959 begingen wir die 600-Jahrfeier, die gemeinsam mit dem Bundessängerfest ausgerichtet und veranstaltet wurde.

Früher wurde der Festzeltbetrieb durch die ortsansässigen Wirte organisiert und veranstaltet, in 1959 stand jedoch kein einheimischer Wirt mehr zur Verfügung. Als Festwirt wurde daher der Auswärtige Rudi Schmidt aus Wenings verpflichtet, der den Markt in den nächsten 30 Jahren ausrichtete.

Einige dieser Angaben wurden dem Buch "975 Jahre Herchenhain-Hartmannshain" von Maria Stock entnommen.

Danach übernahmen die Spielvereinigung Hartmannshain/Herchenhain und die Herchenhainer Freiwillige Feuerwehr die Ausrichtung des Festes; seit einigen Jahren ist die Spielvereinigung Hartmannshain/Herchenhain der alleinige Ausrichter.

Traditionell wurde der Markt ungefähr zwei Wochen vor dem Johannistag am 24. Juni veranstaltet und regelmäßig mit einem Viehmarkt an einem Dienstag begonnen, am Mittwoch mit einem großen Krämermarkt als Haupttag fortgesetzt und mit der Nachkirmes am Sonntag abgeschlossen. Seit wenigen Jahren ist das Fest auf Freitag, Samstag und Sonntag festgelegt. Die Bemühungen der letzten Jahre, den Marktcharakter des Johannismarkts zu stärken, sind erfolgreich; inzwischen haben wir wieder regelmäßig über 30 Aussteller und viele Händlern kommen gerne zu uns.
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